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Kapstadt, den 20. Oktober 2002

Liebe Menschen,

eine turbulente Zeit liegt hinter mir. Echten Stress, Cocktailparty, Portemonnaie-Klau, mysteriöse Wiederkehr, unmenschliche sportliche Auszehrung und die Auferstehung der Tschechoslowakei hab ich erlebt. Aber der Reihe nach, damit es für die daheim gebliebenen nicht zu kompliziert wird.

Vor zwei Wochen offenbarte mir Haajirah (meine Chefin and head of the collections department), dass ich an den Kurator des Museums "verliehen" werden soll. "Just for one week. He needs some help with the computer. You know..." Ja, ja, hätte ich mal, "no, no" gesagt. Denn Donald, der Kurator, ist ein "Poet" (Zitat Haajirah). Deshalb wurde ich auch zwei Wochen vor Eröffnung der Ausstellung über eine Zwangsumsiedlung am Kirstenbosch Botanischen Garten als seine rechte Hand abbeordert. Die Layouts für zunächst acht Leuchtkästen sollte ich unter Donalds kreativer Führung am Rechner gestalten. "The content is ready. It's a job for three or four days". Pustekuchen. Die etwa 200 Familienbilder hatte ein Mitarbeiter miserabel gescannt, es gab kein Programm zum Layouten, die Größen der Leuchtkästen standen nicht fest und Keiner im Museum hatte zuvor mit Hintergrund beleuchteten Ausdrucken gearbeitet, geschweige denn eine Ahnung, was dabei zu beachten ist.

Es kam also wie es kommen musste: Lutz wurde vom Ferien-Freiwilligen zum Arbeitstier. Drei mal 15 Stunden Arbeitstage, Klischee des Deutschen bestätigt. Nur Donald lies sich mächtig Zeit. Noch am Tag des Andrucks (den ich wegen klitzekleinen Änderungen drei mal verschieben musste), durfte ich neue Kinderfotos, Hochzeitsbilder und verwaschene Fotos von Holzhütten scannen, bearbeiten und einfügen. Und dann wurden aus acht plötzlich neun Leuchtkästen. Ich legte also noch einen Gang zu und fing an, die Leute selbst zu koordinieren, weil Donald völlig überfordert Fotos sortierte. Da das Klischee vom Deutschen so gut zog, begann ich, mit "Blitzkrieg" zu drohen. Brachte aber auch nicht viel. Egal, alles vergessen. Gestern haben wir um 15.10 Uhr die Ausstellung eröffnet. Eigentlich sollte es 15 Uhr losgehen. Die Zeit war schwer zu halten, weil erst um 12 Uhr die restlichen Bilder eintrafen, aufgeklebt werden und an die Wand gebracht werden mussten. Nix für einen Perfektionisten wie mich. Da die Hausmeister wo anders beschäftigt waren, hab ich am Schluss auch noch meine "babies", die Leuchtkästen, selber verklebt, zugenagelt und an die Wand gedonnert. Prost Mahlzeit, jetzt hab ich zwei Tage frei genommen und will Wale in Hermanus angucken - die muss man nicht retuschieren und sie sind so schön langsam. Ach so, die Tschechoslowakei, die haben gleich zwei Redner (unter anderem ein Dr. und Museumsdirektor) wieder erweckt als sie dem Botschafter dieses Landes für seine Anwesenheit bei der Eröffnung dankten. Europa ist halt weit. Ich warte jetzt nur noch drauf, dass mich einer als den "intern from the GDR" vorstellt.

Weil der Stress noch nicht genug war, sind wir am Sonntag vor einer Woche noch auf den BigWalk gegangen. Hatte mir darunter so was wie einen großen Spaziergang vorgestellt. Irren ist menschlich. 20 Kilometer mit 2000 Menschen durch die Straßen von Cape Town hetzen. Haajirah mit ihren Dackelbeinen immer voran und acht Mitarbeiter keuchend dahinter. Am Schluss bin ich irgendwo im Mittelfeld gelandet, 3:20 Stunden. Ich lebe noch und kommenden Sonntag klettern wir zum Sonnenuntergang auf den Lion's Head. Der Gemeinschaftssinn in diesem Museum ist überwältigend und ich genieße ihn jeden Tag.

Das Museum ist aber nicht nur ein Platz für Gemeinschaft, sondern auch noch ein sehr öffentlicher dazu. Deshalb wurde ich gleich gewarnt, immer die Büros zuzuschließen, da schon mehrfach irgendwelche Sachen geklaut wurden. Am Tag vor der Ausstellungseröffnung erwischte es mich dann im ärgsten Stress: Portemonnaie mit Visa-, EC-Karte, Presseausweis, Führerschein, umgerechnet 40 Euro, meine drei Glücks-Dollar und ner halbvollen Free Smoothie Card vom Lieblingsfastfood Kawai weg. Geld und Kreditkarten kann man ja sperren und verkraften. Aber den Führerschein brauch ich und den Gratis-Smothie (leckere Milchshake mit frischen Früchten und crashed ice) hätt ich nächste Woche holen können.

Das ganze Museumsteam fühlte mit und erkundigte sich nach meine Wohlergehen. Ich hatte aber eh mehr Probleme mit der Ausstellung und die Geldbörse erst mal verdrängt. Als ich dann gestern vor der Eröffnung bei der lahmarschigen Polizei endlich die Anzeige aufgegeben hatte, tauchte ein Kollege mit meinem Ausweis auf. Den hätte eine Besucherin auf der Treppe gefunden. Und eine freie Mitarbeiterin kam auf mich zu und erzählte, ihr sei gestern von einem Studenten, den sie mit einer Gruppe durchs Museum geführt hatte, auf dem Uni-Gelände ein Bündel Karten in die Hand gedrückt worden, umwickelt mit einem Zettel, auf dem "District Six Museum" stand. Und jetzt, wo sie mich sehe, wäre ihr aufgefallen, dass auf mehreren dieser unheimlich vielen Karten mein Gesicht gedruckt war. Aha! Unheimlich viele Karten, mein Gesicht: Das klingt nach meinem Portemonnaieinhalt.

Tja, und so rufe ich nun morgen in der Uni an, wo sie die unheimlich vielen Karten abgegeben hat und hoffe auf das Wunder von Kapstadt, das meiner Mutter viele Telefonate und mir einige Faxe und Euro ersparen könnte.

Noch mit Geldbörse in der Tasche war ich am Donnerstag auf einem netten Cocktailempfang in der Loft von Ogilvy & Mather, wo der Mail&Guardian, angeblich die beste Zeitung des Landes, feine Häppchen und erlesene Schnäpse ausschenkte. Das Blatt hat einen neuen, fetten Besitzer aus Simbabwe, der kein weißer Farmer ist und nicht so witzig und einen neuen schwarzen Chefredakteur, der schlechte Reden hält, dafür aber die besten (afrikaansen) Trinksprüche beherrscht und mit dem man nach drei Schnäpsen sehr gut blödeln kann.

Noch was? Nee. Reicht auch für die paar Tage ja auch. Da immer wieder Menschen nach dem Klima fragen. Ja, der Sommer ist da (Genau wie der Winter in Europa J). Heute haben wir etwa 26 Grad, blauen Himmel und eine leichte Meeresbrise. Ich wünsche allen daheim gebliebenen ein nicht all zu kühl herbstliches Restwochenende.

Brothers and sisters, enjoy the week

yours Lutz