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Kapstadt, den 27. März 2003

Von Johannesburg nach Kapstadt


Mein alter Gaul will uns fast nicht mehr nach Pretoria tragen. Mehr als viertausend Kilometer hat der Mitsubishi in zwei Wochen geschafft. Stolze Leistung. Doch hier sollte er nicht schlapp machen. Auf der Autobahn folgen in immer kürzeren Abständen Warnhinweise vor Highjackern. Weil Diebstahlsicherungen und Wegfahrsperren das Klauen eines Wagens vom Parkplatz fast unmöglich gemacht haben, ist eine der größten Gefahren für den Motoristen in Südafrika ein Überfall an der roten Ampel oder während eines provozierten Unfalls. Und die Region um Joburg gilt als Brennpunkt für diese brutale Art Kriminalität.

Meine Kiste will zum Glück keiner. Also kommen wir heile in der Regierungshauptstadt Pretoria an. Mit Blick auf das Parlament verbringen wir eine Nacht im Studentenwohnheim und quälen uns erst am nächsten Morgen mit einer immensen Blechlawine durch die Vororte in das Herz der Hauptstadt von Mord und Totschlag. Sieht gar nicht so gefährlich aus, denke ich mir erst. Doch spätestens im ehemaligen Hotel-Viertel Hillbrow wandelt sich das Bild. So muss es noch vor ein paar Jahren in der Bronx ausgesehen haben. Diese Stadt hat einen radikalen Wandel durchgemacht. Vom Diamantennest, über pulsierende weiße Wirtschaftsmetropole zu einem der ersten Plätze in diesem Land, an dem Schwarze größere Autos fahren als ihre weißen ehemaligen Herren und Madams. Ich bin wieder einmal froh, mit Thulani zu reisen, weil ich mich sonst vor lauter Warnungen und "no go"-Gebieten nie in diese Stadt getraut hätte.

Zum Beispiel nach Soweto (den ehemals SOuth WEstern TOwnship). Die weiße Lady bei Gauteng Tourism ist etwas skeptisch. "Schließen sie sich am besten einer Touristengruppe nach Soweto an. Das ist am sichersten", rät sie. Ich unterhalte mich lieber mit ihrem schwarzen Kollegen. "Hab da einen Freund, der in den USA war und in Soweto wohnt. Der ist arbeitslos und zeigt euch sicher gerne seine Heimat", sagt er. Die Lady schaut skeptisch, doch einen Anruf später sind wir schon verabredet. Wieso ich eigentlich nach Südafrika gegangen sei, will sie wissen. "Weil sich dieses Land in einem interessanten und riskanten Transformationsprozess befindet und ich auch meine Vergleiche mit der deutschen Wiedervereinigung ziehen kann," antworte ich. "Wenn es bei uns in Deutschland schon viel länger dauert als alle dachten, warum sollte es hier, in einem Land mit zig Sprachen und Kulturen, schneller gehen?" Jetzt habe ich aber was Falsches gesagt. Nein, die Kämpfe mit der Apartheid habe man in den 90ern ausgetragen und jetzt seien alle gleich berechtig, merkt die Lady an. Nun schauen ihre schwarzen Kollegen skeptisch. Sie habe vor zwei Jahren in Kapstadt gelebt und dort nie Diskriminierung erlebt. Jeder hätte heute die gleichen Chancen und überhaupt... Meine empirische Erkenntnis sagt mir etwas anderes und ich beginne, mich auf das herzlichste mit ihr zu zanken. Bin ihr wirklich dankbar für dieses offenherzige Verkennen der Situation. Denn irgendwie hatte ich mich schon gefragt, wo heute eigentlich all die kleinen Rassisten stecken, die mal das System gestützt haben.

Irgendwie drängt aber die Zeit und ich lasse die Lady mit ihren gleichberechtigten Kollegen allein. Deren Skepsis ist zu letzt breitem Grinsen gewichen. Sollten diese Tourismus-Menschen denn nicht MICH unterhalten?

Wir fahren ins Apartheid-Museum und lassen uns von den zig Video-Wänden berieseln. Die Architektur ist beeindruckend. Auf Schritt und Tritt fühlt man sich wie im Gefängnis. Wirklich gelungen. Eine ähnlich gute Kombination habe ich bisher nur im neuen Jüdischen Museum in Berlin gesehen. Die Inhalte im Apartheid-Museum sind dagegen recht mau. Auch ohne Befangenheit würde ich stets das District Six Museum vorziehen. Kalt und unpersönlich kommt die Ausstellung in Joburg daher. Viele Veränderungen werden nur am Beispiel von Gauteng erläutert. Der ANC wird wie so oft als alleinige treibende Kraft dargestellt. Andere Widerstandsgruppen treten dagegen in den Hintergrund.

Netter finde ich da schon das neue Museum für den Soweto-Schüler-Aufstand, bei dem Hector Peterson erschossen wurde. Das Ex-Haus von Madiba (Nelson Mandela) und das immer noch Haus seiner Ex-Frau interessieren mich recht wenig. Doch das Gesamtkunstwerk Soweto ist spannend. An ein paar Ecken gibt es sogar kleine spießige Hütten mit Rasen vor der Tür. Auf dem liegen häufig mit Wasser gefüllte Plastikflaschen, die einem Aberglauben zu Folge nachts die Hunde vom illegalen Abladen ihrer Fäkalien abhalten sollen. Dieser Township ist nicht nur um einiges größer als die in Kapstadt, sondern auch irgendwie liebenswürdiger, mit etwas mehr Profil. Hier entdecke ich das erste Mal einen seltsam fremd ausschauenden Baum, der sich bei näherer Betrachtung als Mobilfunksender mit Tarngeäst herausstellt.

Leider bleibt wenig Zeit, Joburgs Nachtleben zu entdecken. Denn ehe wir uns zu unseren Schlafsäcken bei einer Freundin Thulanis durchgeschlagen haben, vergehen jeden Abend eineinhalb Stunden Autofahrt. Wir teilen uns das Wohnzimmer zu viert. Denn neben ihrem kleinen Sohn wohnen zur Zeit auch noch ihrer Mutter und ihre Tante in der Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie sind frisch vom Ostkap eingetroffen. Da gäbe es keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit, erzählen sie. Von Johannesburg versprechen sie sich eine glorreiche Zukunft, die eben erst mal auf dem harten Boden der Tatsachen im Wohnzimmer irgendwo im Vorort beginnt.

Auf unserer Reise haben wir viele Menschen im Aufbruch getroffen. Am Ostkap, wo sie alles über Europa wissen wollten, in Joburg auf der Suche nach Arbeit. Und auch in Lesotho, unserer letzten Station sind die Menschen unterwegs. Viele arbeiten in Südafrika, weil ihnen die klassische "Karriere" vom Hirtenjungen zum Besitzer dreier Kühe einiger Schafe und eines kleinen Ackers mit Mais nicht genug ist. Sie wollen ihr Leben komfortabler gestalten, vielleicht auch mit Elektrizität und Trinkwasser, das man nicht mit Kanistern herbei karren muss.

All diesen Luxus hat Thulanis Großmutter, die eine Stunde von der Hauptstadt Maseru entfernt wohnt, nicht. Licht spendet die Paraphien-Leuchte, Wasser kommt vom Gemeinschaftswasserhahn und das Waschwasser macht sie über dem offenen Feuer warm. Dieses harte Leben erträgt sie vor allem dank ihres starken Glaubens an Gott und weil einer ihrer Enkel abgestellt wurde, ihr zu helfen. Doch der will nun auch bald hinaus in die große weite Welt... also erstmal wieder nach Maseru und dann vielleicht nach Südafrika, wenn er nach einem halben Jahr Bearbeitungszeit seinen Pass bekommt. Die Alten im Dorf wissen, dass nur Wenige zu ihren Wurzeln zurück finden. Und so werden der Halb-Basotho Thulani und ich auch mit allen Ehren empfangen. Schon eine Stunde nach unserer Ankunft stehen zwei bärtige Alte hoch zu Ross vor der Tür. Sie heißen uns willkommen und erkundigen sich nach unserem Wohlbefinden. Die Prozedur wiederholt sich am Morgen, als sie wissen wollen, wie wir geschlafen haben. Als Morgengabe haben sie eine Schüssel geschrotetes Getreide mitgebracht, das uns Gogo (das heißt hier Oma) zu mehreren Mahlzeiten als schlabberige Mehlsuppe serviert. Einzigartig fade... ;-)

Was ich schnell lerne ist, dass die Basotho stolze Menschen sind. Sie haben sich zwischen den Bergen viel mehr von ihrer Kultur bewahrt als all die anderen Stämme an der Südspitze Afrikas. Oft passiert es mir, dass die Leute mich auf South Sotho grüßen und erst zu erkennen geben, dass sie auch Englisch sprechen, wenn meine Antwort trotz aller Bemühungen wieder schief gerät. Zu meiner Beruhigung ist Thulani auch nicht voll der Sprache mächtig und wir stehen erstmals auf der Tour verbal auf der gleichen Stufe.

Was lässt sich sonst über Lesotho in so wenigen Zeilen sagen: Es ist wunderschön.

Kein Blick ohne Berge. Ein Sternenzelt zum träumen. Gelehrige Kühe. Licht, wie es Caspar David Friedrich geliebt hätte. Und Mehlsuppe bis zum Abwinken...

Na gut, so eine fermentierte Flüssigkeit, die aus dem gleichen Getreide wie die Mehlsuppe entsteht, gibt es auch noch. Am Wegesrand reichen mir ein paar mal Leute diesen milchigen Bierersatz und freuen sich diebisch, wenn ich die Brühe schluckweise runterwürge. Mein South Sotho wird besser. Ich kapiere, dass ich wohl auf Ex trinken soll. Prost Mahlzeit. Nach und nach gewöhne ich mich daran.

Nach einem anstrengenden Weg und traumhaften Gipfelblicken werden wir in einem Dorf zum Essen eingeladen. Ein Paar hat eine Enkelin bekommen und aus diesem Anlass ein Schaf geschlachtet und die ganze Dorfgemeinschaft zu Pap, Fleisch und Bohnen eingeladen. Wenigstens mal was Festes. Doch vorher gibt es (alle ahnen es) Mehlsuppe. Thulanis Onkel zeigt uns ein Zelt in der Ferne und eins ganz nah. Ich ahne schon, was das bedeutet. Große Partyzelte werden im südlichen Afrika bei Hochzeiten und Trauerfeiern verwendet. Hier werde getrauert, erklärt uns der Onkel. Was die Todesursache war, will Thulani wissen. "Sie werden dir erzählen, der Kaffee müsse wohl schlecht gewesen sein, weil er danach gestorben ist", erzählt der Onkel mit seinem stets sarkastischen Unterton. Über AIDS würde hier eben keiner Sprechen. Aber es sei klar, dass sehr viele Menschen HIV-positiv sind. Schlechte Ernährungs- und Lebensbedingungen fördern den Ausbruch von AIDS, habe ich in Südafrika gelernt und kann mir ausrechnen, dass einem HIV-Positiven hier nicht viel Zeit zum leben bleibt.

Die Teenager, die wir aus respektvollem Abstand beim Abschluss ihres Initiationsprozesses beobachten dürfen, werden wohl alles Andere im Kopf haben als AIDS. In rote Decken gehüllt haben sie für ein halbes Jahr abseits der Gemeinschaft in einer selbst gebauten Hütte gelebt. Jetzt singen sie im Chor und Solo traditionelle Lieder unter einer Art Baldachin bevor sie die Hütte verbrenne und ohne sich umzublicken in ihrer Familien als Männer zurückkehren. Die Mütter und Geschwister stehen etwas zehn Meter entfernt und reichen einem Helfer Tücher und Ketten, die der an die Jungen weiterreicht. Schwer behängt sind viele schon damit. Doch sie tragen den Schmuck mit Stolz und singen auch in der ärgsten Mittagsglut. Nachher soll eine Kuh geschlachtet werden. Der Platz versammelt so viele Rituale, dass eine Bleichgesicht wie ich gar nicht aus dem Stauen kommt. Was wollen die Europäer eigentlich immer mit dem Begriff Kulturnation. Wie gerne würde ich bleiben, doch unsere Zeit verrinnt. Und so machen wir uns wieder auf den Weg Richtung Kapstadt, wo ich erst mal mein Bild von Afrika neu sortieren muss. Nur noch vier Wochen habe ich auf dem Schwarzen Kontinent.

Ich habe stolze aber auch erniedrigte Menschen getroffen. Sehr viel Liebe erfahren und Hass gesehen. Ein paar Souvenirs trage ich in meinem Koffer nach Europa. Doch das meiste Gepäck stapelt sich in meinem Kopf.