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Kapstadt, den 2. Oktober 2002

Liebe Menschen draußen in der kalten Welt,

eigentlich wollte ich mich ja schon viiiiiiiiieeeel früher wieder melden. Doch die afrikanische Zeit verrinnt etwas langsamer. Und so brauchte ich geschlagene zwei Wochen vom Antragsformular bis zum funktionstüchtigen Telefonanschluss und in der Wohnung. Zwei Techniker brauchten an zwei Termine insgesamt DREI Stunden. Jetzt bin ich aber hoffentlich noch besser erreichbar und das nicht nur per Mail, sondern auch Festnetz-Telefon unter der Nummer 0027-(0)21-4486712 (kostet ab 16 Cent/Min., aktuelle Tarife unter http://www.teltarif.de).

Bis auf den Kampf mit der frisch privatisierten Telkom geht es mir immer noch hervorprächtig. Das Wetter war recht garstig, hat mit einem Tornado im benachbarten Township auch gleich mal 80 fast Obdachlose ihres letzten Wellbleches beraubt. Hab trotz meiner Hilfsbereitschaft keinen aufgenommen, weil ich eh schon zwei Sozialfälle betreue. Sie schlafen im anderen Zimmer, sind mit meinem Kollegen Thulani verbrüdert bzw. befreundet und pinkeln im stehen und machen hinterher die Brille nicht wieder runter. Ach ja, der eine will wohl möglichst schnell reich werden und arbeitet deshalb wie ein Ochse und studiert nebenbei. Da sie immer gegen Mitternacht ins Haus kommen und dieses wieder verlassen, wenn ich aufstehe, haben wir uns erst ein mal getroffen. Spannende Mitwohnis... Zitat Forest Gump: "Life is like a box of chocolate. You never know what you get."

Aber ich bin ja nicht auf sie angewiesen. Spätestens seit ich einen roten Mitsubishi Baujahr 85 mein Eigen nenne, bin ich unabhängig und meine Zukunft scheint gesichert. Erst sah es so aus, als würde die Kiste mehr Öl als Benzin saufen (und selbst von Letzterem nimmt sie ordentlich). Doch ein bisschen Pflege mit Geheimmittelchen und schon läuft die Reisschüssel wie geschmiert. Hab mich auch zum socializen am Sonntag zu den anderen Männern auf die Straße gestellt und die Möhre gewaschen. Schade um die Seife. Seither grüßen mich zumindest die Ehefrauen mit einem Lächeln.
Sonst bin ich mit den Nachbarn noch nicht warm geworden. Das Viertel hat in diesem unteren Teil wohl schon die letzten vierzig Jahre keinen weißen Einwohner mehr gehabt. Und in der Apartheid haben sich die Bewohner mit dem Schicksal der Rassentrennung angefreundet und gucken jetzt etwas verdutzt, wenn da so ein Bleichgesicht in der Straße rumspringt. Aber ich fühle mich gut aufgehoben. Das Viertel ist etwas runtergekommen aber die Leute wohnen hier meist schon lange. Da funktioniert die Nachbarschaftshilfe noch und mein Auto stand am nächsten Morgen noch da, als ich vergessen hatte, es zuzuschließen.

So viel zum Privaten. In einer der kommenden Mails werde ich mal meine Alltag vorstellen. Heute will ich mich aber erst mal dem Hauptaspekt meines Aufenthaltes widmen: dem District Six Museum.

Durch die freundliche Vermittlung von Tobias Bütow und Arne Lietz war ich mehr zufällig an dieses äußerst nette und kurzweilige Praktikum geraten. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, was mich hier erwarten würde und hatte mich schon auf recht einfache Verhältnisse knapp über der Entwicklungshilfe eingestellt. Doch alles kam anders. Ich entwickle mich gerade zum Museumsfotografen (was weniger an meiner künstlerischen Vollkommenheit als der geringen Kenntnis meiner Kollgegen zu verdanken ist). Meine dürftigen Erfahrungen im Umgang mit Video- und Audiogeräten machen mich auch hin und wieder zum Kameramann oder Tonassistenten. Außerdem sammle ich die Inhalte (neudeutsch Content) für die neue Museumshomepage (Die alte findet sich unter http://www.districtsix.co.za) und habe dazu mit allen Mitarbeitern über ihre Arbeit gesprochen. Nebenbei bin ich der Computer-Assi und werde wohl den Rest der Woche damit verbringen, den Termin einer Ausstellung zu retten, da unser Chefkünstler keine Ahnung von Computern, Photoshop und Page Maker hat.

Um besser zu verstehen, was ich hier treibe, führe ich vielleicht kurz in historischen Hintergründe des Museums ein. Danach folgt eine kurze Beschreibung des Museums.

Der historische Hintergrund des Museums

Bis zum Ende der 60er-Jahre war der D6 ein kunterbuntes Arbeiterviertel mit Traditionen aus allen Erdteilen. Moslems, Christen, Hindus und Juden lebten am Rande der Kapstädter City auf engstem Raum halbwegs friedlich zusammen. Jazz spielte eine wichtige Rolle im leben der Menschen, der phantastische Coon Carneval hat seine Heimat um Neujahr im D6. All dem setzte die formale Einstufung des Distrikts ein Ende. Die Apartheid-Regierung erklärte den D6 zum weißen Gebiet im Sinne des rassistischen "Group Areas Acts". In den folgenden Jahren wurden "Farbige" (nach willkürlichen Kriterien eingestuft) in Townships umgesiedelt und der Stadtteil nach und nach geschliffen. Alles unter dem Vorwand, die Elendsgebiete austrocknen zu wollen. Nur einige Kirchen und eine Mosche erinnern Inseln gleich an den alten D6. Hinzu kam später das moderne Technikon (Technische Hochschule) der Stadt. Sonst weht der Cape Doctor (häufig pustender Südwest-Wind) nur das hohe Gras und die Büsche am Fuß des Teufelsberges durcheinander. Das wollten Stadtverwaltung und der Öl-Konzer BP 1987 ändern und entwickelten Pläne zur Neubebauung des D6 - ohne Beteiligung der vertriebenen Bewohner. Doch der Widerstand formierte sich in der Allianz "Hands Off District Six" (Hände weg vom District Six, HODS). Ex-Bewohner des Stadtteils, politische Gruppen, Kirchen, Schulen, Hochschullehrer und andere Bürger wehrten sich erfolgreich gegen die Pläne. Nicht erst durch diesen Widerstand waren der Stadtteil und seine ehemaligen Bürger zum nationalen Symbol für Vertreibung und Widerstadt geworden. Die Aktivisten der HODS-Allianz entwickelten die Idee, einen Ort der Erinnerung zum schaffen: das District Six Museum. Der Rest ist Geschichte.

Das District Six Museum

Das Museum benötigte Räume, Geld und Menschen, die darin arbeiten. Heute ist bis auf das Geld alles im Überfluss vorhanden. Eine ständig wachsende und sich verändernde Hauptausstellung mit alten Straßenschildern, Fotografien, Zeitzeugenberichten und einer großen Straßenkarte des D6 bildet das Zentrum des Museums, das die meisten hier lieber als "Space" (Raum) bezeichnen, da es mit einem Museum klassischer Art nur wenig gemein hat. Drumherum gliedern sich die Verwaltungsräume, ein Sound-Archiv, ein normales Archiv, ein kleines Kaffee, ein Mini-Buchladen, eine Vorschule und viele Geschichten, Menschen und Erinnerungen. Das alles in einer alten Methodistischen Kirche mit wunderbarem Licht am Nachmittag.

Erst kürzlich hat das Museum ein riesiges altes Lager- und Warenhaus in unmittelbarer Nachbarschaft gekauft. Dort sollen die endlos vielen neuen Ideen, wie eine Dunkelkammer, ein echter Buchladen und Proberäume für Musiker, verwirklicht werden. Die wichtigste Aufgabe soll das neue Gebäude vom alten übernehmen: Kommunikations- und Erinnerungszentrum der alten D6-Community, die eine neue werden soll. Denn nach der Verabschiedung eines Wiedergutmachungsgesetzes wurde das Land von Präsident Thabo Mbeki als erstes Gebiet in Südafrika persönlich an einen Treuhandfond übergeben, der personell und räumlich sehr stark mit dem Museum verbunden ist und den Wiederaufbau leitet. Die ersten Häuser sollen schon bald entstehen. Am Wochenende war ich selbst auf einer Versammlung von tausend Ex-District-Sixern, die erfuhren, welche Familien in das Pilotprogramm eingebunden werden sollen. Sehr bewegend!

Aber ich kann hier schreiben was ich will. Worte werden der Realität nicht gerecht. Das Museum ist ein Ort der Begegnung, der Erinnerung, der Freude, der Trauer, der Kunst, der Aktion und vor allem des Lebens. Das muss man mit eigenen Augen sehen, die Liebe der Menschen spüren und die Klänge des Distric Six in sich aufnehmen. Non-Stop-Flüge ab München, Frankfurt und Düsseldorf gibt es von Lufthansa und LTU...

Und wer es jetzt noch nicht glaubt, für den zitiere ich noch den Rucksack-Touri-Reiseführer Lonley Planet South Africa, Lesotho & Swaziland, 5th edition:

"If you see only one museum in Cape Town make it this one; note that almost all township tours stop here first to explain the history of the pass laws. (..) The museum is as much for the people of the now-vanished District Six as it is about them. The dispays are moving and poignant: a floor covered with a large-scale map of District Six, ex-residents having labelled where their demolished homes and features of their neighbourhood were; reconstructions of home interiors; fading photographs an recordings. Most memorable of all are the staff, practically all dispaded residents, each with a heart-breaking story to tell..."

Heute war der erste Sommertag und gerade bricht die erste laue Sommernacht herein. Von der nahen Moschee ruft jemand zum Gebet. Der Tafelberg versteckt sich heute nicht unter der Wolken-Tischdecke und denke an alle frierenden Mitteleuropäer ;-)

Gruß aus dem Süden von Lutz

p.s. Spruch des Tages vom Chef-Kolumnisten der südafrikanischen Sunday Times und Engländer über die Sicherheitslage in Südafrika:
"Ermordet werden kann man auch in London. Doch da ist das Wetter schlecht, die Leute mies drauf und die Mieten elend teuer. Dann doch lieber in Südafrika ermordet werden..."