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Joburg - Kapstadt
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Kapstadt, den 25. März 2003

Von Durban in den Krüger Park


Mein Mitsubisha trägt uns Richtung Durban, die Stadt mit dem größten Hafen des Landes und einer allgegenwärtigen indischen Minderheit.

Einen Wasserfall wollen wir uns kurz vor dem Ziel in Peter Maritzburg ansehen. Und den sollen wir bekommen, wenn auch anders als erwartet. Zwei Polizisten stoppen uns nämlich auf der Einfallstraße. Diesmal sitze sogar ich hinterm Steuer, was ganz gut ist, nachdem wir am Ostkap schon einen kontrollierenden Beamten mit umgerechnet 3,50 Euro bestechen mussten, weil er den Führerschein-losen Thulani am Lenker erwischt hatte.

Diesmal läuft alles besser. Ein freundlicher Jungspund bittet mich, doch mal meine Lichtanlage vorzuführen. Alles top! Die große Inspektion vor der Abfahrt muss ja einen Sinn gehabt haben. Gute Fahrt! Doch wie tun, wenn nicht können, weil das Auto beim Rumdrehen des Schlüssels keinen Mucks sagt? Sorry, Mr. Officer, haben Sie vielleicht ein Starthilfekabel? Nichts leichter als das. Doch hier kommt der Wasserfall ins Spiel. Durban ist nämlich nicht nur für billigen Zulu-Schmuck und indische Gewürze, sondern auch die Platzregen bekannt. Und so öffnet der Herrgott seine Schleusen weit und sendet einen anscheinend nimmer enden wollenden Schwall just als ich die Motorhaube öffne. Am Schluss sind zwei Polizisten, zwei Touristen, ein herbeigerufener Auto-Elektriker und mein Motor durchgeweicht. Produkt der Willkür eines klitzekleinen Steckers, der auf Wanderschaft ging anstatt still in seiner Dose zu verharren.

Sonst ist Durban nicht unbedingt der Rede wert. Ich treffe meine ersten weißen Bettler in Südafrika und wasche mit einem Obdachlosen meine Schuhe unter einer Dusche am Strand dieser Industrie- und Tourismus-Stadt in einem. Kaufe Geschenke für die Lieben in der Heimat (ja, freuet euch) und genieße die luxuriöse WG von Thulanis Freund in einem poshen Vorort mit Meerblick. Die Weißen Haie lassen sich nicht sehen und so können wir problemlos Richtung Swasiland aufbrechen.

Das kleine Reich mit absoluter Monarchie ist Thulanis Heimat. Na ja, eigentlich auch nicht. Denn geboren ist er im Königreich in den Wolken: in Lesotho. Aber da kommen wir ja noch hin. In Swasiland ist er jedenfalls aufgewachsen. Und wie die meisten Swasi liebt er die Monarchie. Dass der König seine Rechte missbraucht und seine zig Frauen bayrische Geländewagen fahren, stört ihn allerdings auch. Aber man kann eben nicht alles haben. Genau genommen haben Thulanis Landsleute gerade fast gar nichts. Denn eine Dürre hat die Ernte verdorben. Wir nehmen drei Frauen per Anhalter mit. Sie erzählen, dass sie Morula-Früchte sammeln und zu einer Art Bier vergären wollen. Ihr Maisfeld könnten sie auch gleich anstecken. Da wäre nichts auf dem Halm. Jetzt versuchten sie ein paar Emalangeni mit dem Alkohol zu verdienen. Uns kommt ein erster Transporter mit rotem Kreuz entgegen. Thulani ist entsetzt. In Kapstadt hat er nicht viel von den Problemen seiner Landsleute mitbekommen. Jetzt ist er doppelt traurig, weil er seiner Mutter auch kein Geld mitbringen kann nachdem ein Freund seine Schulden nicht beglichen hat. Normalerweise sendet er einen großen Teil seines eh geringen Museums-Einkommens nach Hause, weil die Mutter schon lange arbeitslos ist. Doch heute müssen ein paar Konserven aus dem Spar-Supermarkt (ja, den gibt es auch hier, wie im restlichen Süden Afrikas) reichen.

Die Mutter lebt in einem barackenartigen Haus mit drei von Thulanis Halbgeschwistern. Auf dem Weg dort hin erzählt mir Thulani ihre lange Leidensgeschichte. Darin kommen drei Häuser vor, die sie nacheinander mit eigenen Händen und der Hilfe ihrer Kinder gebaut hat. Alles hat sie verloren: durch ihre Scheidung, durch die Bank, durch die wachsende Armut. Sie würde gerne wieder in den eigenen vier Wänden leben. Doch im Moment muss sie sehen, dass überhaupt Essen auf den Tisch kommt. Elektrizität gibt es keine. Das Geld reicht nicht für die Anschlussgebühr. Fließendes Wasser im Haus ist der einzige Luxus. Zwei Frauen begrüßen uns, die Thulani nicht kennt. "Die müssen aus ihrer katholischen Gemeinde sein", mutmaßt Thulani. Die Religion konnte seiner Mutter bisher auch die Armut nicht nehmen. Sie stammt aus Lesotho, wo kanadische und französische Missionare nachhaltige Arbeit geleistet haben.

Thulani stellt mir seine Halbschwestern vor. Mit einer von ihnen übt er schreiben im Schein der Parafin-Lampe. "Ich würde sie gerne nach Kapstadt holen", erzählt er mir später. Sie soll eine gute Ausbildung erhalten, die Chance bekommen, später zur Uni gehen zu können. Doch er hat auch Angst, Cape Town könnte sie verderben. "Die Städte fressen die Kinder der Gemeinden", höre ich ihn später in Lesotho sagen. Das gleiche gilt wohl für Swasiland. Wer die Chance hat, geht. Nicht alle schicken wie Thulani das Geld nach Hause, sondern stecken es eher in die neueste Kwaito-Mode oder die Township-Kneipen.
Die Mutter regt sich gerade über ihre Nachbarn auf. "Ich weiß wirklich nicht, was diese Chinesen hier wollen", esshofiert sie sich. "Die sollten den Leuten beibringen, wie man Reis anbaut. Doch die meisten Felder bestellen sie mit Süßkartoffeln und Gemüse für ihre eigene Küche," setzt sie fort. Chinesen in Swasiland? "Ja", erklärt mit Thulani, "das Königshaus und die chinesische Botschaft müssen wohl einen ganz guten Draht gehabt haben." Jedenfalls kam irgendjemand auf die glorreiche Idee, Reis in Swasiland anzubauen. Lieber Leser, jetzt bitte kurz chinesische Reisfelder im Kopf einblenden. Danke, ganau. Die Halme stehen im Wasser und brauchen davon die ganze Zeit ganz viel. Und Swasiland leidet alle paar Jahre, wie im Moment, an verheerenden Dürren. Also den Rest kann sich jeder selbst überlegen.

Doch es bleibt uns nicht viel Zeit, um über diesen Schwachsinn zu philosophieren. Schon nach eineinhalb Tagen im Land des Königs mit den drei lustigen Federn am Kopf müssen wir weiter in den Krüger-Nationalpark. Bei Regen und Dunst fahren wir morgens in den wohl berühmtesten Nationalpark Afrikas, wenn nicht der Welt. Und als hätte er nur auf uns gewartet, steht schon nach zwanzig Minuten Fahrt ein riesiger Elefantenbulle mitten vor uns auf der Straße. Schnell wird klar, wie die Spielregeln hier funktionieren: Zoo verkehrt herum. Die Menschen müssen in engen Käfigen (Autos) sitzen und die Tiere starren sie an und amüsieren sich über sie. Das Rüsselvieh kommt jedenfalls recht nah. Ob er gleich die Erdnüsse rausholt, um uns zu füttern?! Nein, heute nicht. Er hat ja eine Jahreskarte und kann wieder kommen.

Nach Mittag gebe ich es auf, die Namen der entdeckten Kreaturen in meine Karte einzutragen. Mit Nashorn, Elefant und Löwe sehen wir jedenfalls schon in den ersten Stunden drei der Big Five genannten Bestseller. Ein Leopard läuft uns dann in im Dunkeln beim geführten Night Drive buchstäblich über den Weg. Giraffen, machen lustige Verrenkungen, um ihre Art nicht aussterben zu lassen und ganze Familien von Warzenschweinen tippeln vor uns über die Wege. Doch der Höhepunkt ist eindeutig der Morning Walk am zweiten Tag. Zwei Wildhüter, zwei Gewehre und vier Touristen. Das ist alles, was man dafür braucht. Den Geländewagen lassen wir irgendwo stehen. Der Schlüssel bleibt stecken. Löwen können ihn nicht rumdrehen. Dann geht es im Gänsemarsch durch die Baumsavanne. Ein einmaliges Erlebnis. Mistkäfer balgen sich um einen großen Haufen Elefantendung, Spinnen starren angriffslustig aus ihren Erdhöhlen und um ein Breitmaulnashorn zu beobachten, müssen wir uns gegen den Wind anschleichen. "Ein Auto nehmen die Tiere nur als Objekt wie einen Felsen oder Baum wahr," erklärt der Ranger, "Doch sobald wir aufrecht durch die Natur gehen, sehen sie uns als Räuber." Deshalb flüchtet auch das Rhinozeros. So bleibt mehr Zeit, über Sträucher zu sprechen, mit deren Blättern man Schlangenbisse behandelt oder die Zähne putzt. Gleich soll es Frühstück aus dem Rucksack geben. Doch ein Elefanten-Teenager macht uns einen Strich durch die Rechnung. "Den kennen wir nicht. Und diese Halbstarken können mächtig aggressiv werden", erläutert der Ranger. Also müssen wir wieder einen Bogen um den Wind machen und unsere Mägen noch knurren lassen. Dann liegt vor uns ein monströser Knochen: "Giraffe", konstatiert der Ranger. "Ein erfahrender Löwe kann auf ihren Rücken springen und sie dann töten", ergänzt er. Ich überlege, was er wohl mit einem Menschen Macht, wenn gerade Mittags-Zeit ist.

Doch dass unsere Knochen hier bald vor sich hin bleichen, ist eher unwahrscheinlich. Zwischenfälle mit Tieren kämen nur sehr selten vor, weil die Ranger zur größten Vorsicht angehalten werden. Und wenn ein Tier erschossen werden müsste, gäbe es zwar eine Untersuchung des Falls, aber die Entscheidung für den Abschuss würde nie angezweifelt werden, um menschliche Ladehemmungen im entscheidenden Moment zu vermeiden. Wie auch immer. Die frischen Löwen-Spuren im Flussbett, das wir queren, lassen mich doch kurz erschauern und ich bin froh, dass alle Camps im Park Elektrozäune haben.

Nach fünf Stunden kommen wir zurück zum 4x4. Der Schlüssel steckt noch immer. Solche Zustände würde sich wohl so mancher Joburger wünschen. Hier draußen bekommt das Wort "immobilizer" eine ganz neue Bedeutung: nicht das Auto wird für unbefugtes Wegfahren gesperrt, sondern die Diebe sind demobilisiert.

Die zweite Nacht schlafen wir als einzige Gäste im "rustikalen" (Park-Werbung) Balule-Camp nahe dem einmalig schönen Olifants-Fluss. Zwei der vertrauten Parafin-Lampen beleuchten das Bad mit kalten Duschen. Der einzige Strom fließ, von einer Solarzelle gespeist, durch den Elektrozaun. Direkt dahinter sitzen vier hungrige Hyänen und hoffen auf der Gnade der Dachdecker im Camp. Die hatten ihnen wohl vergangene Nacht die Reste vom Pap, dem klassischen Alltags-Mais-Brei der Afrikaner, über den Zaun geworfen. Was oder wen werden sie heute vertilgen, wenn es nichts Gekochtes gibt? Wir erfahren es nicht und wachen am nächsten Morgen in einem Stück auf. Der Elektrozaun hat dicht gehalten. Bestens trainiert packen wir flink das Zelt zusammen und verlassen den Park. Fast zwei Wochen Reise liegen jetzt schon hinter uns. Vor uns das Moloch Johannesburg, die Hauptstadt der Morde, aber auch das pulsierende Herz dieses Landes.