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Kapstadt, den 24. Februar 2003

Von Kapstadt an die Wild Coast


Gestartet waren wir am 22. Januar in einem unvergleichlichen Sonnenaufgang Richtung Osten und nach 100 Kilometern einem Röhren aus der Bauchregion meines fast 20 Jahre alten Mitsubishi Tredias. Kenne doch mein rotes Monster: Loch im Schalldämpfer. So was hab ich schon mal mit einer Art Auto-Pflaster repariert... Doch spätestens in der Halbwüste Karoo geht mir und den Pavianen mein Donnervogel nur noch auf den Senkel. Also lasse ich dem Japaner in der Straußen-Metropole Oudtshoorn eine neue Blechbüchse für knapp 20 Euro anschweißen, während ich mich auf den Rücken des größten Vogels auf Erden hieven lasse. Netter Geier ist der Vogelstrauß , doch dumm wie Bohnenstroh. Das Sprichwort mit dem Kopf im Sand ist wahr. Stülpt man so einem Langhals einen kleinen Sack über das Haubt lässt er mit sich fast alles machen, weil er glaubt, man sähe ihn nicht mehr.

Anyway, wir fahren weiter an die Garden Route zwischen Knysna und Plettenberg Bay und bauen unseren Tanzsaal von einem 5bis6-Mann-Zelt neben der Southern Comfort Western Horse Ranch auf. Spannender Platz: die ganze Herbergsfamilie starrt auf einen Fernseher, in dem vom Frühstück bis nach Mitternacht, von Trickfilm bis Catchen, alles läuft, was seicht ist. Auch das Frühstück hat keinen Biss und wir halten weiter zum Müsli. Danach ein knackiger, vermeintlicher zwei-Studen-Wanderweg, der uns über fünf Stunden unvergessliche Blicke auf die zerklüftete Küste und Schrammen in Südafrikas letztem echten Urwald bietet.

Die 900 Straßenkilometer am kommenden Tag sind strapaziöser. Wir verlassen die Westkap-Provinz und treffen auf die ersten Kühe am Ostkap: natürlich auf der Straße. "Fahrt niemals bei Nacht und passt auf mit den Tieren und Menschen die überall rumlaufen!", hatten uns Freunde aus Kapstadt gewarnt. Besonders der Transkei genannte Teil sei voll von Schlaglöchern und anderen Gefahren. Weil Thulani in Umtata noch zwei Stunden um ein Interview mit der Witwe eines Musikers ringt, ist es doch stockdunkel bevor wir uns auf die letzten zweihundert Kilometer machen. Nebel verschleiert die Sicht. Jetzt bloß keine Kühe! Doch das echte Problem ist hausgemacht. Ein kleines rotes Lämpchen mit Batterie-Symbol glimmt hinter meinem Lenkrad. Eigentlich geht es nach dem Starten gleich weg. Doch heute begleitet es uns schon ein Weilchen. Ich werde nervös, Thulani beschließt mit afrikanischer Gelassenheit, dass würde schon verschwinden. Tut es auch. Doch mit ihm alle anderen Lichter.

Mitten in den Bergen der Transkei, zwischen hier und nirgendwo, läuft nur noch der Motor in der Dunkelheit und ich hänge mich an die Lichter meines Vordermannes, um überhaupt zu erkenne, wo sich die Abgründe neben uns auftun. Ich halte irgendwo am Rand. Keine Kuh erwischt! Vor uns steht ein anderer Wagen in der Finsternis. Welch ein Glück, dass Thulani neben seiner Heimatsprache Swati auch Zulu und das hier übliche Xhosa beherrscht. So werden wir schon ein paar Schnalzlaute später auf einen dunklen Hinterhof im nächsten Ort eskortiert, der mich böses ahnen lässt. Unsere neuen Begleiter sind sturzbetrunken und wollen ein paar Rand für das nächste Bier von uns. Hätte ich in diesem Augenblick die große Wumme gesehen, die der Fahrer am Gürtel trägt, wäre wohl ein Unglück geschehen. Doch so stellt er mich nur seiner "sister" vor. Die lebt mit ihrem ebenfalls betrunkenen Mann, ihrem Sohn, Tochter und deren Sohn in zwei etwa 15 Quadratmeter großen Räumchen, die in getrennten Hausteilen liegen. Kein fließendes Wasser, aber Strom für einen riesigen, fast leeren Kühlschrank, in dem sich eine Wasserflasche gruselt.

Draußen ist derweil Großversammlung. Ein weißer Pickup (hier heißt sowas Bakkie) versperrt die Zufahrt zum Hof und zwei Männer in Uniform stehen im Scheinwerferlicht mit Gewehr im Anschlag. Ob ich mich frei fühlen würde, zu gehen, wollen sie wissen. Und ob alles o.k. sei. Na ja, bis auf das Auto ist schon alles in Ordnung. Das sah wohl ein Nachbar anders: Weißer Mann nachts auf dem Hinterhof? Da muss doch was faul sein. Und alarmierte die Polizei. Ich fühl mich jetzt jedenfalls noch etwas besser und schlafe zwischen Tausenden von Mücken mit Orstöpseln und laufendem Fernseher auf dem Boden ein. Hätte auch mit dem Familienvater das Bett teilen können. Doch ich habe dankend abgelehnt.

Am nächsten Tag reparieren ein Mann und ein Teenager meine Lichtmaschine. Ich muss die neuen Kohlebürsten selbst aus einem Laden besorgen und stolpere etwas unbeholfen durch einen typisch afrikanischen Wochenend-Markt. So ist er also, der schwarze Kontinent. Mir soll noch mal jemand erzählen, Kapstadt läge in Afrika. Mit dem Wunderheiler verhandele ich kurz Preis und Anwendung eines Anti-Pickel-Mittels für einen Freund. Doch die Kombination aus Erbrechen und äußerlichem Abreiben wird ihm sicher nicht zusagen. Ich besuche meine Gastgeberin, die jetzt auch meine "sister" ist, im Möbelgeschäft, wo sie arbeitet. Jedem stellt sie mich vor. Jeder will wissen, ob er oder sie eine Chance hätte, in Europa Geld zu verdienen. Die Transkei ist ein ehemaliges Homeland, das während der Apartheid nur zur Zucht von neuen Arbeitskräften für die Mienen und Fabriken der Großstädte diente. Auch heute ist sie eine der ärmsten Regionen Südafrikas.

Thulani gibt jedem seine Telefonnummer. Bis nach Europa werden sie es wohl nicht schaffen. Doch in Kapstadt hört man Xhosa vor allem in Townships wie Langa. Und vielleicht braucht meine "sister" eines Tages Hilfe, ihre Kids in einer Hütte am Rande Cape Towns durchzubringen.

Wir machen uns auf den Weg zurück an die Küste Richtung Port Edward, wo wir mehr durch Zufall in einem der schönsten Backpackers (für die ältere Generation: sowas wie ne Jugendherberge) des südlichen Afrikas landen und uns mit Wasserreinigungstabletten, Erdnüssen und Ratschlägen für den geplanten dreitägigen Trail entlang der Wild Coast eindecken. Die ist so wild, dass uns kein Mensch genauere Informationen über Verkehrsanbindung, Übernachtungsmöglichkeiten etc. geben konnte. Die EU-geförderte Öko-Tourismus--Initiative Amadiba wollte nix rausrücken. Touren auf eigene Faust könnten sie nicht empfehlen - wohl vor allem, weil sie keinen Cent daran verdienen. Wir wagen es trotzdem und marschieren ohne Karte und Kompass kilometerweit den Strand entlang.

Der erste Tag ist ein Gewaltakt. Drei Flussmündungen müssen wir ohne Boot und Brücke überqueren. Von den Haien, vor denen man uns gewarnt hatte, ist glücklicherweise nichts zu sehen oder zu spüren. Dafür werde ich vom Tiefgang des ersten Stromes so überrascht, dass mein Handy ein Vollbad nimmt und ich es erst am Ende der Reise mit vielen Tricks wieder zum Leben erwecken kann. Was braucht man auch ein cell phone im Land der tapferen Pondo-Krieger, die sich sogar gegen das Apartheidregime auflehnten? Meine Digigcam überlebt die Fluten und kann kurz darauf rote Dünen etwa zehn Meter über dem Meer ablichten. In dieser Traumlandschaft vergessen wir beinahe unser dringendstes Problem: Trinkwasser. Denn unsere mitgenommenen Vorräte sind schon am Morgen des zweiten Tages aufgebraucht. Und die nächsten zwei Flüsse schlängeln sich trübe ins Meer und führen salziges Brackwasser. Als ich schon über das Graben von Löchern, Schlachten von Tieren und Abhacken von wasserspeichernden Bäumen nachdenke, um uns zu retten, löst sich das Problem von ganz allein. Wir stehen plötzlich vor einem riesigen Wasserfall, der sich direkt in eine blaue Lagune ergießt. Vier Chlortabletten in die Flasche und unser Durst ist gelöscht. Dann gleich noch eine Naturdusche und wir können stracks schon am zweiten Tag bis zum geplanten Endpunkt der Tour an der Mzikaba-Mündung durch den Mkambati-Wildpark mit Zebras, Buntböcken und Gnus wandern. Auf dem Rückweg werde ich zum ersten Mal im Leben zum Tramper und ich lasse mir von unserem Fahrer erklären, wie das mit den zwanzig Kühen funktioniert, die man dem Vater kaufen muss, wenn man eine Xhosa-Frau ehelichen will. Zwei Weiber hatten sich mir in der Transkei schon angeboten. Doch zwanzig Rindviehcher sind mir echt zu teuer.

Dieser Trail bringt jedenfalls die Besinnung auf das Wesendliche: Wasser, Nahrung, Schlaf.